Im Millimeterbereich: Wach-Operation bei Hirntumor
Die Wach-Operation am Gehirn ist sowohl für Mediziner als auch Patienten herausfordernd. Zugleich ist sie bei Tumoren am Sprachzentrum die beste Option, um soviel krankes Gewebe wie möglich zu entfernen und Lebensqualität zu erhalten. Im Interview erklären Prof. Dr. med Florian Ebner, Chefarzt der Neurochirurgie, zusammen mit Prof. Dr. med. Daniel Dirkmann, Chefarzt der Anästhesiologie und Intensivmedizin, worauf es bei einem solchen Eingriff ankommt.
Bei welchen Hirntumoren ist eine Wach-OP sinnvoll?
Prof. Ebner: Bei einem schlafenden Patienten können wir während der Operation über das Neuro-Monitoring die für Bewegung, Fühlen, Hören und sogar zum Teil Sehen zuständigen Gehirnareale überwachen. Das gelingt heute noch nicht beim Sprachverständnis und der Sprachproduktion. Betrifft ein Tumor diese Areale im Gehirn, ist eine Wach-Operation indiziert.
Welche Rolle spielt bei einer Wach-Operation die Kooperationsfähigkeit des Patienten?
Prof. Ebner: Sprachverständnis und Sprache des Patienten müssen im Vorfeld noch so gut sein, dass wir während der Operation eine Testung durchführen können. Entscheidend hierbei ist, dass der Patienten sich die Situation zutraut. Eine Operation am Kopf ist schon eine sehr besondere Erfahrung: Wenn der Patient das wach erleben und dabei gleichzeitig noch Sprachübungen durchführen soll, ist er entsprechend angespannt.
Warum entscheiden sich Patienten für eine Wach-Operation?
Prof. Ebner: Bei vielen Tumoren hängt der Behandlungserfolg auch vom Resektionsausmaß ab. Bei Tumoren im Bereich des Sprachzentrums verspricht die Wach-OP das bestmögliche funktionserhaltende Resultat. Deshalb gehen die meisten Patienten - trotz der nicht unerheblichen Belastung - diesen Schritt. Viele beraten sich vorher mit ihrer Familie, ob sie sich das zutrauen können. Den Mut zu finden, eine Gehirn-OP im wachen Zustand zu erleben, braucht auf jeden Fall die Unterstützung der Angehörigen.
Wie werden die Patienten auf eine Wach-OP vorbereitet?
Prof. Ebner: Wir versetzen die Patienten in die Lage, während der Operation aktiv mitzuarbeiten. Sie werden so Teil des OP-Teams. Zur Vorbereitung durchlaufen die Patienten mit unserem Psychologen dezidierte Tests. Je nach betroffenen Arealen im Gehirn werden gezielte Sprach- und Rechenübungen trainiert. Zudem führen wir in der Radiologie ein funktionales MRT durch, es findet also eine Sprachtestung während einer Kernspintomographie statt. Das liefert uns weitere verlässliche Daten.
Prof. Dirkmann: Von Seiten der Anästhesie klären wir die Patienten umfassend über den Eingriff auf und nehmen dadurch schon viele Ängste. Dabei gehen wir besonders auf die Situation im Wachzustand ein. Wichtig ist hier das Versprechen der Schmerzfreiheit während der Operation.
Die OP verläuft in mehreren Phasen…
Prof. Dirkmann: Richtig. Wir legen das Monitoring wie EKG, Sauerstoffsättigung und Blutdruckmessung über einen Katheter an. So erhalten wir mit jedem Herzschlag verlässliche Vitalwerte. Bestimmte Nerven, am Hinterkopf, in der Nähe von Ohr, Nase und Auge, werden mittels der Injektion von hochwirksamen Lokalanästhetika blockiert. Dieser so genannte Skalp-Block trägt maßgeblich dazu bei dass der Eingriff für den Patienten schmerzfrei ist. Zusätzlich erhalten die Patienten nötigenfalls Schmerz- und auch Beruhigungsmedikamente über die Vene.
Im nächsten Schritt wird eine Vollnarkose eingeleitet. Anschließend erfolgt die sehr aufwändige OP-Lagerung mit dem gesamten Team. Im ersten eigentlichen OP-Schritt wird das Gehirn dann in Vollnarkose freigelegt. Erst dann wird der Patient wieder behutsam aufgeweckt. Stress, ein Husten oder unkontrollierte Bewegungen vermeiden wir dabei durch die Gabe sehr kurzfristig wirksamer Medikamente. Wir sorgen dabei für eine absolut ruhige Atmosphäre im OP-Saal, in der der Patient langsam aufwacht.
Wie erkennen Sie während der OP, welche Teile des Gehirns funktional erhalten werden müssen?
Prof. Ebner: Zunächst sprechen wir sehr einfühlsam mit dem Patienten und schauen, ob er ausreichend wach ist, um die verschiedenen Sprach, - Rechen und Schreibaufgaben gestellt zu bekommen. Während er diese beantwortet, werden die Gehirnareale mit einer Stimulationssonde stimuliert. Kann eine Aufgabe nicht gelöst werden, ist es offensichtlich, dass das stimulierte Areal die entsprechende Funktion beinhaltet und damit erhalten werden muss. Wir nennen das „Mapping“.
Dadurch entsteht eine „Karte der Gehirnfunktion“, und wir können sehen, welchen Tumoranteil wir entfernen können, ohne die Funktionen z.B. für Sprache und Zahlenverständnis zu beeinträchtigen. So können wir – unter Einsatz intraoperativer Bildgebung und Navigation - sehr detailliert krankes Gewebe entfernen. Zunächst an der Oberfläche des Tumors, dann nach weiteren Stimulationstests auch in der Tiefe. Wir operieren im Millimeterbereich.
Zu welchen Zwischenfällen kann es während der Operation kommen?
Prof. Dirkmann: Eine Möglichkeit bei der Stimulation des Gehirns ist ein Krampfanfall. Darauf sind wir vorbereitet und durchbrechen diesen umgehend durch eiskalte sterile Flüssigkeit. Sie wird auf das offene Gehirn gegeben. Die Krampfaktivität wird durch das Eiswasser sofort unterbrochen. Wenige Sekunden später arbeitet das Gehirn wieder normal. Der Patient spürt davon nichts.
Dafür sorgt ein hochprofessionell und exzellent eingespieltes OP-Team aus Neurochirurgie, Anästhesie, OP-Pflege, Elektrophysiologie und Sprachtestung. Dieses Teamwork macht es möglich, auch auf unerwartete Ereignisse adäquat zu reagieren und dabei gleichzeitig Ruhe auszustrahlen.
Wie geht es nach der Operation weiter?
Prof. Ebner: Nach der OP wird der Patient in der Regel für eine Nacht auf der Intensivstation überwacht und versorgt. Am nächsten Tag wird dann ein Kontroll-MRT gemacht, und wir beginnen behutsam mit der Mobilisierung und logopädischen Betreuung des Patienten. Die Angehörigen sind jetzt wieder ganz wichtig: Auch wenn die OP komplikationslos verlaufen ist, kann es durch lokale postoperative Schwellung des Gehirns sein, dass sich die Sprachproduktion und das Sprachverständnis zunächst für einige Tage verschlechtern. Hier ist Geduld und Zuspruch gefragt. Einige Tage später können die Patienten das Krankenhaus verlassen. Der Fall wird nach Eingang des histologischen Ergebnisses in der Tumorkonferenz unseres neuroonkologischen Zentrums besprochen. Abhängig von der Tumorart erfolgt die Weiterbehandlung der Patienten ggf. mit einer Chemo- oder Strahlentherapie, die häufig ambulant durchgeführt werden kann. In regelmäßigen Abständen sehen wir die Patienten zur klinischen und radiologischen Verlaufskontrolle mit MRT-Bildern.
Weitere Informatioenen:
Klinik für Neurochirurgie
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie
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